Kapazität ausbauen, bevor es eng wird
C 32 | Turmmagazin | Kretzschmar & Silber | Lohnfertigung
Um die Automobilzulieferer ist es ruhig geworden. Für die Kretzschmar & Silber Fertigungstechnik bedeutet das ein zu 80 Prozent gewandelter Kundenstamm. Sollten die verstummten Auftraggeber wieder aktiv werden, hat der Lohnfertiger vorgesorgt – mitten im Lockdown investierte er in ein C 32 U von Hermle. Er verschafft sich dadurch mehr Kapazität und wird zudem flexibler.
Die Kretzschmar & Silber Fertigungstechnik GmbH ist in ihrem Auftritt zurückhaltend. „Wir sind bald für Sie online erreichbar“, heißt es auf der Website, die noch nicht einmal die Anschrift des erfolgreichen Lohnfertigers verrät. Am Gebäude deutet lediglich ein etwa DIN-A3 großes Schild mit den in grün auf anthrazit gedruckten Initialen K und S an, wer hinter den aluminiumgerahmten Glastüren firmiert. Es stecke kein besonderer Grund dahinter, vielmehr fehle bis dato die Notwendigkeit, wird Ulrich Silber später erklären. Zusammen mit Thiemo Kretzschmar gründete er vor vier Jahren das Unternehmen in Knittlingen, rund 20 Kilometer nördlich von Pforzheim.
„Interessant, was sich aus einer Idee, skizziert auf einem Bierdeckel, so alles entwickeln kann“, wirft Thiemo Kretzschmar während einer Zigarettenpause ein. Der einstige Arbeitskollege von Silber verweist damit auf den Anfang der Firma: Damals waren beide Gründer bei Werkzeugbauern angestellt und fanden keine zufriedenstellende Lösung, um Bauteile größer als 400 Millimeter mittig und exakt zu spannen. „Gemeinsam haben wir ein Spannmittel entwickelt und dieses patentieren lassen“, erzählt Ulrich Silber. Dazu mieteten sie sich partiell in der Halle ein, die ihnen jetzt komplett gehört. Die erste Maschine, eine C 250 U der Maschinenfabrik Berthold Hermle AG, steht auch heute noch an der gleichen Stelle, „und arbeitet nach wie vor zuverlässig“, versichert Silber. Vergangenes Jahr verkauften die Entwickler ihre Idee, die klassische Lohnfertigung blieb.
Seit 2017 fräsen Thiemo Kretzschmar und Ulrich Silber auf fünf Bearbeitungszentren Prototypen, Einzelteile und Kleinserien für Automobilzulieferer, Maschinen- und Werkzeugbauer. Neben einem festangestellten Mitarbeiter haben sie sich ein Pool an kompetenten Aushilfskräften organisiert und können so flexibel auf die Auftragslage reagieren.
Mut zur Lücke
Während Kretzschmar der Spezialist für die Programmierung ist, kümmert sich Silber um neue Aufträge. Er sei viel am Markt unterwegs gewesen, kenne zahlreiche Unternehmen und habe ein entsprechend großes Netzwerk. Hinzu kommt die Reputation, die sich die Fertigungstechniker aufgebaut haben. Was ihnen dabei hilft, ist ihre langjährige Erfahrung unter anderem im Formenbau, Spritzguss und Tiefziehen: „Wir wissen, wie die Teile unserer Kunden funktionieren. Zudem sind wir schnell und flexibel. Wir haben Unternehmen schon aus der Patsche geholfen, indem wir sehr kurzfristig hochwertige Teile für sie produziert haben. Das ist nur möglich, weil wir unsere Kapazität nicht voll verplanen“, erklärt Ulrich Silber. Dieser Ansatz ist auch ein Grund für die jüngste Investition – ein 5-Achs-Bearbeitungszentrum der High-Performance-Line von Hermle aus Gosheim. Mit der Corona-Krise veränderte sich der Kundenstamm von Kretzschmar & Silber grundlegend. Um die Automobilzulieferer wurde es still. Stattdessen traten die Medizintechnik und der allgemeine Maschinenbau in den Vordergrund. Die neue C 32 U ist die Antwort auf die Frage, wie sie ihre Bestandskunden bedienen können, sobald diese wieder Bedarf haben. „Wir haben die Maschine quasi auf Verdacht gekauft, um kapazitätsmäßig vorbereitet zu sein“, erläutert Silber.
Ein weiterer Grund ist die Flexibilität, die ihnen die 5-Achs-Fräsmaschine bietet. So vielfältig wie die Kunden sind auch die zu bearbeitenden Materialien: Von Kunststoff über Aluminium bis hin zu diversen Stählen und Hartmetallen findet sich alles in den Aufträgen des Lohnfertigers wieder. „Die tägliche Herausforderung ist es, alles mit Spannmitteln und Werkzeugen abzubilden und effektiv zu bearbeiten“, betont Silber. „Daher beeinflusste das große Werkzeugmagazin unsere Maschinenwahl maßgeblich.“ Er orderte die C 32 U mit einem zusätzlichen Turmmagazin und reduziert so im Vergleich zur C 250 U die Rüstzeiten um bis zu 50 Prozent. „Unsere Teile sind im Schnitt 30 bis 60 Minuten auf der Maschine. Da fallen zusätzliche Rüstzeiten für den Werkzeugwechsel stark ins Gewicht“, erläutert der Geschäftsführer. Mit dem Zusatzmagazin stehen den Fertigungstechnikern 250 Werkzeugplätze zur Verfügung, die mittlerweile schon voll belegt sind.
Service mit Know-How
Die Kretzschmar & Silber Fertigungstechnik arbeitet mit der C 32 U schnell die unterschiedlichsten Aufträge ab. Was die beiden Zerspaner darüber hinaus schätzen, ist die Zuverlässigkeit der Maschine, denn sie bekommen das Material zu 80 Prozent gestellt. „Das bedeutet, wir haben in der Regel kaum Ersatz, sollte etwas schief gehen“, verdeutlicht Silber. Dank der elektrischen Wärmekompensation arbeitet das 5-Achs-Fräszentrum auch in der nicht klimatisierten Halle äußerst präzise. Ausfälle – meist aufgrund eines Werkzeugbruchs – sind selten, lassen sich jedoch nicht vermeiden. „Hermle macht keinen Unterschied zwischen Groß- und Kleinkunden. In der Regel sind die Service-Techniker innerhalb von 24 Stunden vor Ort und haben immer eine Lösung parat“, lobt Silber. Das Thema Kompetenz ist ihm besonders wichtig. Fehlt sie, hat das Folgen, wie er in anderen Unternehmen sieht: „Ohne entsprechendes Know-how nützt einem die beste Maschine nichts.“ Als Lohnfertiger muss er effektiv arbeiten und sieht entsprechend schnell, wo Optimierungsbedarf besteht – bei sich und bei seinen Kunden. „Eine umständliche Frässtrategie oder zu eng gewählte Toleranz gehen schnell ins Geld“, bemerkt er und macht seine Auftraggeber darauf aufmerksam. Ulrich Silber zeigt ihnen, wie sie ihre Teile günstiger und schneller bearbeiten können. Dass er sich dadurch selber um einen Auftrag bringen kann, akzeptiert er – und entwickelt daraus eine Geschäftsidee: „Das Prozessconsulting ist ein zweites Standbein, dass wir immer mehr ausbauen.“
Ein klares „Ja aber" zur Automation
Auch wenn die Flexibilität für die Kretzschmar & Silber Fertigungstechnik eine große Rolle spielt, haben sich die Geschäftsführer bei der C 32 U gegen eine Automation entschieden: „Das HS flex-System passt für uns nicht, da wir Bauteile von zehn bis 900 Millimeter bearbeiten.“ Das neue große Handlingsystem HS flex heavy gab es noch nicht. Prinzipiell abgeneigt ist Silber in die Investition einer Automationsanlage nicht: An die C 250 U ist bereits eine Fremdautomation adaptiert. „Als wir uns damals die Anlage gekauft haben, war das HS flex-System noch nicht lieferbar, so dass wir uns für diese Lösung entschieden hatten“, ergänzt der Geschäftsführer. Demnächst planen die Gründer die Modernisierung der Halle – ein Teil soll für den Betrieb von Messmaschinen klimatisiert werden – und den Ausbau des Beratungsangebots.